Ina Kitroschat

Szenerie: Ein Kind befindet sich in einem vollen, fahrenden Bus.

Kind fragt: „Kann ich bitte mal durch?“
Erklärung: Nun ist das Wort „kann“, um eine Erlaubnis zu erhalten, im deutschen Volksmund als sehr unhöflich bekannt und obendrein auch noch verpönt! Moralisch eingeprügelt wird den Kindern auch noch heutzutage das regelkonforme Wort „darf“ (im Sinne von „Darf ich bitte mal durch“).
Gehen wir nun davon aus, dass die „regelkonforme Realität“ die Realität 1 ist und die Realität 2 stellt die verpönte Aussage „Kann ich bitte mal durch“ dar. Nun tauchen wir in die Realitäten ein. Los geht es:

Realität 1 (Kind fragt nach Erlaubnis) „Darf ich bitte mal durch“.
Antwort: „Ja.“
Der Bus ist jedoch voll. Das Kind bekommt die Erlaubnis durchzugehen, kann seine Erlaubnis jedoch mit Pech nicht umsetzen. Tja, das ist blöd gelaufen!

Realität 2 (Bin ich dazu in der Lage da durch zu kommen) „Kann ich bitte mal durch“.
Antwort: „Ja.“

An dieser Stelle kann man die Frage in 2 unterschiedliche Ohren kriegen.
Ohr 1:

Man versteht die Frage als Appell („Bitte lass mich durch“). Dann erlangt das Kind mit Glück sein Ziel.
Ohr 2:
Man versteht die Frage nicht als Appell. Dafür befähigt man das Kind verbal dazu vorbeizugehen (das nennt sich Empowerment). Empowerment ist selbst gut, wenn der Bus so voll ist, dass das Kind nicht durchkommt. „Kann“ ist damit nicht nur höflich, wenn man es als Frage anwendet, sondern gibt auch eine gute, angewandte pädagogische Strategie ab, um Kinder vor Unselbstständigkeit und Wutanfällen zu schützen. Bravissimo.