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Die Gesänge des Meeres

Ina Kitroschat-Vogt

 

Der Tag war nebelverhangen. Er kitzelte feucht die Gesichter, die in das Nichts als Grau starrten. Wer sich traute vorüberzugehen, sah in einer knappen Handbreit noch sein Gegenüber. Doch die meisten blieben zuhause. Es war einer dieser Tage an denen man den alten Gerüchten Glauben schenkte.

Das Dorf war nicht sehr groß, jedoch wogen seine Geschichten schwer. Sie lagen verteilt auf den Anwohnerschultern. Die Männer kamen an solchen Tagen nicht zurück. Die Gesänge des Meeres schluckten sie. Die Frauen vermissten alsbald ihre zur See fahrenden Männer und sie zündeten Kerzen für sie an, die sie auf Fenstersimse stellten in der Hoffnung, dass sie gesund wieder nach Hause fanden.

Manche murmelten, es war die See selbst. Andere sprachen von unheilbringenden Wassergeistern, von Nixen, die so schön sangen, dass es die Männer bezirzte und sie daraufhin in ihr Unglück steuerten.

Hätte man sie fragen können, jene Männer, wie es tatsächlich gewesen ist, was hätten sie wohl zur Antwort gegeben?

Die Tatsache sprach Bände: in jenem Dorf fehlten die Männer. Und die Gesänge, die man während der Nebelabende hörte, erfüllten die Frauen mit Schauer und Zaudern.

In jener unheilverheißenden Nacht verschwand auch Johann. Man munkelt, die Gesänge quälten seinen Geist so sehr, dass er einfach über Bord sprang und nicht wieder gesehen ward. Was war mit Johann bloß geschehen? Wurde er verrückt wie es manche vermuteten?

Johanns Liebchen Mathilde sah erschrocken auf die gelöschte Kerze an ihrem Fenstersims. Ihr schwante Böses und sie geriet in Tränen. Die Nachricht über sein Verschwinden erreichte sie drei Tage später.

Der Nebel hielt sich oftmals über Tage. Irgendjemand zündete eine Kerze für ihren Bruder an. Es zog irgendjemanden, wie unsere Mathilde, ans Meer. In den Wellen, die an das Ufer traten, klangen klägliche Gesänge aus der Tiefe. Irgendjemand stieg hinab und ertrank aus freien Stücken – sie begrüßend. Irgendjemandes Bruders Kerze erlosch noch am selben Tag an einem Fenstersims. Er sprang, verrückt geworden, in die Fluten, und ward nicht mehr von den Lebenden gesehen.

Das Märchen über die Gauklerin Thalionmel Galdifei

Ina Kitroschat

 

I) So voller Freude erscheinen meine Tänze,

So unbeschwert klingen meine Lieder,

Voll Leichtigkeit schwebt meine Mimik

Mit im gauklerischen Lied.

 

Es war mein Herz voll Sonnenschein,

Beschwingt tanzte es, unbeschwert.

Jeden retteten all meine Späße

Bis zu dem verfluchten Tag.

 
Ich sah einen tapferen Recken fallen,

Sein Mut starb mit ihm in meinem Arm.

Sein letzter Blick in meine Augen

Erschien verloren und bedrückt.

 

Fräsend, bohrend, nagend, fordernd

Drang die Feigheit in mein Herz.

Es wurde schwer vor Angst und Trauer.

Mein Lächeln verlor ich mit seinem Tod.

 

II) So melancholisch erscheinen meine Tänze,

So beschwert klingen meine Lieder,

Apartheit liegt in meiner Mimik,

Furcht lag ab jetzt in jedem Lied.

 

In den Nächten holte mich Furcht ein,

Der Blick des Recken gab mir den Rest.

Mein Verstand zerschellte in der Mitte,

Die Reste kehrte ich unter den Tisch.

 

III) So tanzt mein Geist in manchen Nächten

So hört man das Lied von meinem Wahn,

So findet man im Stumpfsinn Mut.

So tötet man die Feigheit tot.